Religion und Wissenschaft
An Stelle einer Einleitung - von Prof. Dr. Friedrich Pfister (Auszüge)
Auszüge:
Alle Menschen, so sagt Aristoteles zu Beginn seiner
"Metaphysik", streben von Natur nach Wissen und Erkenntnis
... Aus den Sinneswahrnehmungen bildet sich auf Grund der Erinnerung
die Erfahrung, und aus der Erfahrung entsteht Wissen und theoretisch
begründete Anwendung, die Einzelwissenschaft, die nicht nur das
"daß", sondern auch das "warum", also den
Kausalzusammenhang erforscht.
Aber über die Einzelwissenschaften, die auf empirischer
Grundlage beruhen, erhebt sich die eigentliche Wissenschaft, die
Philosophie, bei der es sich um die Erkenntnis der ersten Ursachen
und Prinzipien handelt. Das wahre Wissen besteht in der Erkenntnis
dieser ersten Ursachen und Prinzipien, und diese Erkenntnis geschieht
um ihrer selbst und nicht um irgendeines Nutzens willen, und sie
steht dabei höher als die Einzelwissenschaft, die Nutzen bringt.
Das höchste Wissen, das zu erstreben ist, ist die Erkenntnis der
höchsten Zweckursache, also des absolut Guten, des letzten
Zwecks aller Dinge, auf den sich alles hinstrebend richtet. Und das
ist zugleich das "erste Bewegende" und der Urgrund der
ewigen Bewegung, in der der ganze Kosmos sich befindet, selbst
unbewegt, unveränderlich, unkörperlich, die reine Form ohne
Stoff, auch als Weltvernunft, ja sogar als Gott bezeichnet. Und so
nennt Aristoteles seine Metaphysik die "erste Philosophie",
auch "Theologie", da sie Gott selbst zu erforschen hat.
...
Es besteht indes ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der
hellenistisch-jüdischen und der christlichen Theologie
einerseits und der antik-griechischen Philosophie andererseits. Zwar
hatten auch die Griechen eine religiöse Überlieferung an
Gottesvorstellungen, Mythen und Kulturhandlungen, aber dieser
Überlieferung kam keine Autorität zu, auch nicht da, wo man
an eine göttliche Offenbarung glaubte. Sondern das menschliche
Denken trat dieser Überlieferung völlig frei gegenüber,
sie teils verwerfend, teils rationalistisch oder allegorisch
ausdeutend, sie teils in passender Auswahl systematisch behandelnd,
aber in keiner Weise an sie gebunden. Und hier, wo es keine
Überlieferung als Autorität gab, trat die Wissenschaft
selbst oft zum Schutz für die Religion ein, wie etwa bei
Sokrates, Platon und Aristoteles, vielleicht ein Dankeszoll der
Wissenschaft an die Religion, die an ihrer Wiege gestanden. Wenn also
die antike Wissenschaft über Gott nachdachte, so schöpfte
sie weniger aus der Überlieferung als aus eigenem Denken. Die
Vernunft allein war die Autorität und hatte die Entscheidung
auch über göttliche Dinge. Die Gottheit des Aristoteles ist
frei aus seinem eigenen Denken entstanden.
...
Denn ein Häretiker zu sein, war für den antiken Menschen
selbstverständlich: ein Mensch, der sich seine Meinung und seine
Anschauung selbst wählt und bestimmt und nicht von einer anderen
Macht bestimmen läßt.
...
Ausgangspunkt ist für Bacon die Erfahrung, auf der Wahrnehmung
fußend und das Experiment zu Hilfe nehmend, eine interpretatio
naturae, die Ursachen erforschend, jegliche Autorität ebenso wie
die scholastischen Erörterungen verwerfend und dann durch die
Methode der Induktion aus der Verarbeitung des Tatsachenmaterials zu
allgemeinen Axiomen gelangend. Aber diese neue Wissenschaft dient
nicht der reinen Erkenntnis, sondern die Erkenntnis der Welt dient zu
ihrer Beherrschung, zur Bereicherung des menschlichen Lebens mit
neuen Erfindungen; denn Wissen ist Macht, nam et ipsa scientia
potestas est, wie es bereits in Bacons Essays (1597) heißt. Ein
Teil seiner Wissenschaft ist auch die natürliche Theologie, die
im Gegensatz zur geoffenbarten Theologie steht, die auf die Bibel
sich gründet.
...
(Zitat Herbert von Cherbury:) "Mögen sie aufhören, zu
jenen großen Namen ihre Zuflucht zu nehmen, um einen Schutz
ihrer Irrtümer zu suchen, die Wahnsinnigen! Die Autorität
ist einzig und allein das Asyl der Unwissenheit ... Kehre zu dir
selbst zurück, damit du an deinen eigenen Fähigkeiten alle
Meinungen der Schriftsteller prüfest!"
...
(Zitat Lessing:) "Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein
Mensch ist oder zu sein vermeint, sondern die aufrichtige Mühe,
die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert
des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die
Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin
allein seine immer wachsende Vollkommenheit besteht. Der Besitz macht
ruhig, träge, stolz. - Wenn Gott in seiner Rechten alle
Wahrheit, und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach
Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren,
verschlossen hielte, und spräche zu mir: Wähle! Ich fiele
ihm mit Demut in seine Linke und sagte: Vater, gieb! Die reine
Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!"
Pfister: Religion und Wissenschaft, Francke Verlag
Aus diesem Buch stammen einige der Gedanken zum
Thema: Die Entwicklung der Wissenschaft.
"Wer sich auf die Autorität beruft, verwendet nicht seinen
Geist, sondern sein Gedächtnis ... Sie (die Erfahrung)
täuscht niemals; es ist nur unsere Auffassung, die zuweilen sich
selbst täuscht."
Zitat Leonardo da Vinci |
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